Herausforderungen beim Schopf zu packen, schafft neue Möglichkeiten

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Zelte abzubrechen und sich Abenteuern und Herausforderungen zu stellen, gehören zum Leben von Cyrill Gaechter. Ob in China, Russland oder in der Schweiz, Motivation und sein persönlicher Anspruch haben Bewegung in seine Karriere gebracht. Die dabei
gewonnenen Erfahrungswerte zeigen auf, wie Toleranz und Offenheit Grundpfeiler für Erfolg sein können.


Mit Cyrill Gaechter* sprach Jsabelle Tschanen


Cyrill Gaechter, Sie haben einige Jahre in Schanghai und Moskau gearbeitet. Was hat Sie kurz nach Ihrem HF-Abschluss ins Ausland gezogen?

Cyrill Gaechter: Gleich nach der Lehre zog es mich für ein Jahr nach Paris. Diese positive Erfahrung war der Grundstein, um auch einen längeren Auslandaufenthalt zu wagen. Nach dem HF-Abschluss hatte ich drei interessante Stellenangebote. Die asiatische Kultur hat mich schon immer fasziniert und schliesslich reizte mich die Herausforderung bei Panalpina in China als Branch Manager mit über 300 Mitarbeitenden am meisten. So brach ich meine Zelte in der Schweiz ab und zog mit meiner damaligen Partnerin nach Schanghai.

Nach vier Jahren konnte ich feststellen, dass ich meine persönlichen Ziele erreicht hatte. Zudem wurde mir das nächste Abenteuer in Moskau angeboten, ebenfalls bei Panalpina. Da dachte ich mir: Warum nicht? Ich hatte Russland schon einige Jahre zuvor bereist und fand auch diese Kultur spannend. So wurde ich nach Moskau versetzt und übernahm die Funktion als Head of Marketing and Sales für Russland, die Ukraine, Aserbaidschan und Kasachstan.

Was haben Sie dort erlebt und gelernt?

Dass wir in der Schweiz in vielerlei Hinsicht privilegiert und uns dessen nicht immer bewusst sind. Aber auch, dass viele Vorurteile gegenüber den beiden Kulturen nicht stimmen. Man muss in den Ländern leben, um die Umgangsformen und allgemeinen Gepflogenheiten zu verstehen, und man muss sie auch ein Stück weit selbst leben – auch wenn man ein Gast in einem fremden Land bleibt. Ich habe genug andere Expats kennengelernt, die zum Teil zwanghaft versucht haben, ihre Arbeitsweise von zu Hause zu übertragen, was nicht immer gut angekommen ist. Ich bin bis heute davon überzeugt, dass eine Mischung aus beiden Ansätzen erfolgreich sein kann, was Toleranz und Offenheit auf beiden Seiten voraussetzt.

Ich durfte erleben, wie verschieden die Denkweisen und Motivationen der Menschen sind. Mit viel Engagement und Geduld habe ich gelernt, diese Unterschiede für den Erfolg zu nutzen. Gleichzeitig durfte ich sehr schöne Freundschaften schliessen, die bis heute halten.

Welche Unterschiede haben Sie in der Arbeitswelt dieser beiden Länder festgestellt?

Es waren grundlegend unterschiedliche Arbeitsweisen und Einstellungen der Mitarbeitenden. China war damals noch im Aufbruch und fast alle waren daran interessiert, Neues zu lernen, um besser zu werden.

Es war einfacher zu motivieren, aber der Wissensstand war noch sehr ungleich und es gab auch noch keine Konstanz. Aber das Niveau stieg von Tag zu Tag und es machte viel Spass zu sehen, wie Verantwortung übernommen und die Qualität gesteigert wurde.

Eine grosse Herausforderung war für mich am Anfang eigentlich nur die Einstellung zur Pünktlichkeit. Ich erinnere mich an meine erste Sitzung, die ich einberufen hatte: Zuerst sass ich pünktlich im Sitzungszimmer, dann kam langsam einer nach dem anderen, der letzte etwa 25 Minuten nach Beginn – und das bei einer Sitzungsdauer von 30 Minuten. In Russland hingegen wurde mehr auf die Pünktlichkeit geachtet. Auch das Niveau der einzelnen Mitarbeitenden war schon auf einem sehr guten Stand. Darauf konnte man aufbauen, musste aber gleichzeitig vorsichtig sein, sie nicht zu stark zu motivieren, sich für Positionen zu bewerben, für die sie noch nicht bereit waren. Das eigene Bestreben war oft, so schnell wie möglich eine höhere Position zu besseren Konditionen zu bekommen. Auch der Titel wurde höher bewertet als beispielsweise in China.

Spannend waren in Russland jedoch die Diskussionen über die unterschiedlichen Ideen und Herangehensweisen. Hier lag eine weitere Stärke im Wissens- bzw. Fähigkeitsniveau. Wenn man jemanden überzeugen konnte, bedeutete das auch volle Unterstützung inklusive der Übernahme von Verantwortung. Die Motivation war gross, etwas bewegen zu wollen und zu können. Das Marktpotenzial war vorhanden. Nur schade und traurig, dass das jetzt alles zerstört wird.

Welche Gründe haben zu Ihrer Rückkehr in die Schweiz beigetragen?

Es gab berufliche, aber auch private Gründe für meine Rückkehr. Beruflich musste ich erkennen, dass man, wenn man das Geschäftsumfeld nicht innert nützlicher Frist ändern kann, sich selbst verändern muss. Panalpina bewegte sich damals generell in eine Richtung, die meinen Vorstellungen und Überzeugungen nicht mehr entsprach. Deshalb habe ich mich entschieden, das Unternehmen nach 17 Jahren zu verlassen und eine neue Herausforderung zu suchen. Privat wollte ich wieder näher bei meiner Familie und meinen Freunden sein. Es waren tolle und spannende Jahre, aber es war an der Zeit, nach Hause zurückzukehren.

Sie arbeiten heute bei Rhenus Logistics als Manager Air- and Oceanfreight, Member of the Executive Board. Was genau machen Sie dort?

Ich war und bin verantwortlich für die Leitung und Weiterentwicklung der Luft- und Seefracht innerhalb der Rhenus Logistics AG Schweiz. Mein Aufgabenbereich umfasst die PL-Verantwortung, das operative Geschäft, den Vertrieb und die System- und Produktentwicklung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die kontinuierliche Annäherung an die zentrale, weltweite Organisationsstruktur der Rhenus. In der Schweiz konnten wir in der Vergangenheit immer recht autonom agieren, nun wollen wir uns von den globalen Möglichkeiten und der Wachstumsstrategie der gesamten Gruppe beflügeln lassen.

Aktuell habe ich fünf direkte Reporting-Lines und insgesamt zählen wir 61 Mitarbeitende in der Rhenus Logistics AG innerhalb der Abteilung Air&Ocean Schweiz.

Was war Ihre Motivation, diese Stelle anzutreten?

Seit meinem Start 2015 ging es darum, die Luft- und Seefracht aufzubauen. Anfangs waren wir nur ein Team von vier Personen am Flughafen Zürich (Luftfracht) und acht Personen in Basel (Seefracht). Danach sind mit der Übernahme der MAT Transport AG und der Interfracht AG rund 18 Personen dazugekommen. Heute, per April 2023, zählen wir 61 Mitarbeitende, verteilt auf vier Niederlassungen in Basel, Zürich, Bern und Vufflens.

Die Teamgrösse ist das eine, aber meine Motivation und mein persönlicher Anspruch war es immer, ein Team aufzubauen, das motiviert ist, Verantwortung zu übernehmen und etwas zu bewegen. Heute haben wir eine schlagkräftige Mannschaft mit tollen und sehr kompetenten Mitarbeitenden. Es macht enorm Freude, regelmässig in allen Büros vor Ort zu sein und gemeinsam neue Ideen und Ansätze zu diskutieren. Mir gefällt auch das familiäre Miteinander. Es sind Freundschaften über die Arbeit hinaus entstanden und es gibt eine grosse Vertrauensbasis. So habe ich mir das immer vorgestellt und ich freue mich sehr, mit dieser Führungscrew und dem ganzen Team in eine herausfordernde, aber auch spannende Zukunft zu gehen.

Mehr als zehn Jahre nach Ihrer kaufmännischen Lehre haben Sie das HF-Studium in Angriff genommen. Welche Überlegungen haben zu diesem Schritt geführt?

Ganz ehrlich? Ich konnte mit den (jungen) akademisch Ausgebildeten und Entscheidungstragenden nicht mehr mithalten bzw. verstand deren Sprache nicht mehr. Es gab so viele neue Begriffe und Konzepte, mit denen ich nicht vertraut war. Im Laufe meiner Karriere bin ich oft in neue Rollen und Funktionen gerutscht und habe die Arbeit nach dem Prinzip «Learning by doing» gelernt. Es war an der Zeit, auch den theoretischen Teil anzueignen, und ich war auch davon überzeugt, dass eine weitere Ausbildung für meine nahe Zukunft sehr wichtig sein würde.

Was hat Ihnen das HF-Studium gebracht?

Nebst vielen guten Jobangeboten habe ich eine Art Bestätigung bekommen, dass die Verfahren, die ich in der Praxis anwende, nicht grundsätzlich falsch sind und sehr oft auch den Ansätzen aus den Büchern entsprechen. Nur hatte ich nie die richtige Grundlage dafür, die ich jetzt habe. Ich durfte aber auch Neues kennenlernen und konnte mich hervorragend mit den jungen Mitstudierenden austauschen. Wir konnten auch voneinander profitieren und uns gegenseitig zu mehr Leistung anspornen. Das Gelernte war auch im Alltag oft gut anwendbar. Nun sind schon wieder einige Jahre vergangen und ich denke über eine neue Weiterbildung Richtung MBA nach.

Wie halten Sie Ihre Work-Life-Balance?

Die Arbeit im Büro hört nie auf und bleibt dynamisch. Jeden Tag gibt es neue Herausforderungen, aber auch neue Möglichkeiten. Neue Arbeitsmodelle mit flexiblen Arbeitsplätzen, die fortschreitende Digitalisierung und Homeoffice erlauben es, die Geschäfte von überall aus zu leiten. Aber auch die regelmässige Präsenz und der Austausch mit den Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen ist wichtig und daher sind die Arbeitstage heute teilweise schon lang. Dementsprechend muss ich mir gut überlegen, ob der Zeitpunkt für die nächste Weiterbildung vielleicht noch zu früh ist.

Einen schönen Ausgleich finde ich in meiner Familie mit einer sehr lieben und verständnisvollen Frau, drei Kindern im Kindergarten- und Schulalter und einer vierjährigen Cocker-Spaniel-Dame. Da wird es nie langweilig. Wir reisen alle gerne und machen regelmässig Ausflüge. Ausserdem treffe ich mich gerne mit Freunden und versuche, den Sport wieder zu aktivieren. Früher habe ich leidenschaftlich Handball gespielt, heute versuche ich es mit Tennis, Squash oder Badminton.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Beruflich natürlich, dass sich die Wirtschaft bald wieder erholt und die Dynamik der letzten zwei bis drei Jahre etwas abflacht. Aber das ist wohl mein Wunschdenken.

Für die Familie wünsche ich mir Gesundheit und dass wir uns bewusst bleiben, was für ein Privileg wir in der Schweiz haben und wie gut es uns geht.

Ansonsten wünsche ich mir mehr Toleranz in der Gesellschaft. Ich habe das Gefühl, dass sich die Menschen – sicher auch unter dem Einfluss der Pandemie – mehr voneinander entfernt haben und der Egoismus Einzelner in den Vordergrund gerückt ist.


*Steckbrief

Name: Cyrill Gaechter

Jahrgang: 1969

Wohnort: Bremgarten b. Bern

ODEC-Mitglied: seit 2007

Aktuelle berufliche Tätigkeit: Manager Air- and Oceanfreight, Member of the Executive Board

Lehre: Kaufmann

HF-Studium: Höhere Fachschule für Wirtschaft, Betriebswirtschaft und Informatik, HFW Baselland

Weiterbildung: Marketingplaner (SAWI) und SUPPLY CAHIN MANAGEMENT Cranfield/UK

Hobbys: Reisen, Sport, Gastronomie